ReWriting von Eric Eggert

Zur Premiere von »Jagger Jagger«, am 1.11.2020 im Maschinenhaus Essen

Wenn man die Fiesen nicht bestraft, dann lernen sie nie, nett zu sein. Und wenn der Buzzer oft genug gedrückt wird, war wieder irgendjemand fies. Und eigentlich geht es die ganze Zeit um den Buzzer: wer oder was triggert ihn, welche Phrasen spielt er ab. Ein bisschen wie in »John Carpenter’s They Live«, nur dass da dann nicht »Obey!« steht, sondern Bengt »Dick!« hört, und dass »die Mama immer recht hat«, und dass es voll OK ist wenn man sich die ganze Zeit nichts zu sagen hat.

Genau das, was in diesem Kleinstadt-Reihenhaus-Siedlungs-Knast nicht gesagt wird, ist es, was die Mittelschicht noch zusammenhält, die genau merkt, dass sie gerade im Verschwinden begriffen ist. Um all diese ungesagten Vorurteile, Selbstverständlichkeiten und Formeln herum arrangiert sich nämlich eigentlich die Stille, die den Soundtrack zur impliziten Gewalt bürgerlicher Verhältnisse darstellt. Wenn man in die Stille hineinhört, hört man immer den Buzzer, und damit man diese Stille nicht ertragen muss, lässt man dann, wie Bengts Eltern, einfach mal den Fernseher laufen. Der Fernseher ist da überhaupt auch so eine Maschine, um die herum sich so eine Wohnung arrangiert. Vielleicht sind ln-Ear-Kopfhörer mit Noise Canceling Krams (Cancel Culture?) ja der nächste Schritt, der das Wohnzimmer dann in den Kopf verlegt und den Buzzer einfach wegcancelt, indem die Frequenz bei 156 Herz dann ein bisschen angehoben wird und die Mitten rausgeschnitten werden.

Generell werden ja gerade die Mitten rausgeschnitten aus der Gesellschaft. Das ist aber nicht tragisch, weil diese Mitten nie da waren, die waren nur ein fauler Kompromiss, dass man über manche Sachen nicht reden muss (Zizek: You don’t hate mondays, you hate capitalism.). Das Reihenhaus ist keine Mitte. Die Reihenhausbewohner*innen wissen genau, dass sie sich nur über den Ausschluss des Hundes konstituieren; sie wissen es noch mehr in dem Moment, wo sie Jagger jagen und selbst kurz zu Hunden werden. Aber diese Gewissheit, dass da eine kleine, unsichtbare Linie ist, die diese »Gemeinschaft« zusammenhält (und die alles andere ausschließt: das Tier, die Unvernunft, you name it), ist eben auch eine sehr fragile Linie, und nichts ist schlimmer, als sich auf der anderen Seite der Linie wiederzufinden. Man kann das anscheinend nur verhindern, indem man selbst zur Kreide wird, die die Linie zieht. Aber dann ist man halt ein Stück Kreide. Dann ist man halt ein Zeichen, dass sich auf dem Boden einschreibt, und mit der ein Grundriss abgesteckt wird, ein Territorium, ein Staat, eine Identität, ein Traum und alles was möglich oder unmöglich erscheint. Dann ist man halt ein Stück Kreide. Oder ein Sound, der aus einem Buzzer kommt. Kreide muss man immer wieder nachziehen. Das gibt Grund zur Hoffnung. Und man könnte ja auch was malen damit, was dann vom nächsten Regen weggewischt wird. Erst wenn alle gelernt haben, diese Art Kreide zu sein, wird die Spirale der Gewalt für einen kurzen Moment angehalten. Und dann muss jemand schnell zum Buzzer rennen und das Gerede mit einem vernünftigen Song überspielen.

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